LESE-KONZERTE MIT GABRIELE STÖTZER (ERURT/UTRECHT)




Daniel Hoffmann, Michael von Hintzenstern, Matthias von Hintzenstern, Hans Tutschku und Gabriele Stötzer auf dem Erfurter Domplatz 2015

Das "Ensemble für Intuitive Musik Weimar" (EFIM) gab sein erstes Konzert mit Werken Karlheinz Stockhausens am 13. Februar 1981 in der illegalen Erfurter "Galerie im Flur, die am 1. April 1981 von der Staatssicherheit liquidiert wurde. Deren Leitung lag in den Händen von Gabriele Stötzer, die nach ihrem Protest gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns 1977 zu einem Jahr Haft wegen Staatsverleumdung verurteilt worden war.

Am 4. Dezember 1989 gehörte sie zu den fünf Frauen, die in Erfurt die erste Stasi-Zentrale in der DDR besetzten. Seit 2009 gestaltet die Schriftstellerin und Künstlerin mit dem EFIM oder mit dem Duo Klang-Zeichen gemeinsame Programme, in denen jeweils neue Texte frühen Schriften aus den 1980er-Jahren gegenübergestellt und als Wort-Klang-Performance aufgeführt werden. Unter dem Titel „Das Brennen der Worte im Mund“ sind die seither entstandenen Arbeiten in Buchform erschienen (ARTE FAKT Verlagsanstalt, 2017). Sie tragen Titel wie Die Überführung der Widerständigkeit und versuchen die positive Energie der Friedlichen Revolution 1989 in die Jetzt-Zeit zu holen. Auftrittsorte waren u. a. das ehemalige Stasi-Gefängnis in der Erfurter Andreasstraße, die Zionskirche Berlin, Villa Stuck München oder das Cabaret Voltaire Zürich. Auch mit dem Duo Klang-Zeichen.


Das Duo „Klang-Zeichen“ ist 2004 aus dem „Ensemble für Intuitive Musik Weimar“ (EFIM) hervorgegangen, das eng mit Karlheinz Stockhausen zusammenarbeitete und bisher in 30 Ländern gastierte. Es knüpft an Traditionslinien des Dadaismus an und ist durch die musikalischen Positionen von Erik Satie und John Cage geprägt. Stets auf der Suche nach neuen Formen, gestaltete die Gruppe 2004 im Rahmen des Projektes „Avantgardistische Hausmusik als Hausgerätemusik“ des Senders „Radio Lotte Weimar“ Live-Konzerte, bei denen sich die Zuhörer telefonisch einwählen und mitspielen konnten. Die Einbeziehung des Publikums ist ein zentrales Anliegen. Durch kreatives Mitgestalten soll die Suche nach neuen Klangfarben sensibilisiert werden. Dabei sind Originalität und Humor gefragt. Michael von Hintzenstern schuf für das Duo eine Reihe von Konzept-Kompositionen, wie z. B. "Lob der Unschärfe" oder "Solo für einen gefütterten Briefumschlag mit Knick hinten".

Seit 2012 fungiert es als Ensemble der Dada-Dekade 2012-2022 (Schirmherrin: Mary Bauermeister), die mit Themenjahren den 100. Jahrestag des Kongresses der Dadaisten und Konstruktivisten 1922 in Weimar vorbereitet.

Gastspiele in Deutschland, Belgien, Holland und der Schweiz (Cabaret Voltaire, Zürich).





GABRIELE STÖTZER: (aus: Deutschlandfunk 23.8. 2019)

"Für mich ist im Knast der Sozialismus gestorben"

Die Erfurter Künstlerin Gabriele Stötzer ist ein Freigeist. In der DDR schrieb, fotografierte und filmte sie gegen die Uniformität an – und landete im Gefängnis. Während viele Kollegen in den Westen gingen, hielt sie an ihrem Widerstand fest.

Schon als Studentin legte sich Gabriele Stötzer, geboren 1953 im Dorf Emleben in Thüringen, mit der DDR-Führung an. Ein systemkritischer Mitstudent an der Hochschule in Erfurt wurde vom Studium ausgeschlossen. Und Gabriele Stötzer schrieb einen Protestbrief an niemand Geringeren als an Margot Honecker, die Ministerin für Volksbildung und Frau des Staatsratsvorsitzenden. "Ich dachte: Die Margot ist die Einzige im Politbüro, die hilft uns natürlich. Ich dachte: Die macht das." Margot Honecker machte etwas Anderes: Sie ließ den 83 Unterzeichnenden der Erfurter Hochschule ausrichten: Entweder ihr distanziert euch von diesem Brief – oder ihr werdet vom Studium ausgeschlossen. 80 Mitunterzeichner bekamen kalte Füße, Gabriele Stötzer und zwei weitere Studenten hielten an dem Brief fest. Sie flog von der Hochschule und wurde für ein Jahr "in die Produktion" geschickt.

Ein Jahr im Frauengefängnis Hoheneck

Die Disziplinarmaßnahme machte sie nicht gefügig. 1976 beteiligte sie sich an der Unterschriftensammlung gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann aus der DDR. Sie wurde festgenommen und zu

Daniel Hoffmann, Michael von Hintzenstern, Gabriele Stötzer und Noriko Kimura im Bauhaus Weimar

einem Jahr Haft im berüchtigten Frauengefängnis Hoheneck verurteilt: 30 Frauen in einem "Verwahrraum": "Nachts kriegst du alles mit: Wenn die eine schreit, weil ein Mann sie aus dem Fenster gehalten hat im 10. Stock. Eine andere knirscht mit den Zähnen, die nächste redet, die nächsten lieben sich. Es waren schon existenzielle Momente, diese Nächte, wenn man nicht schlafen konnte." Und sie bekam mit, dass ihre Mitgenfangenen von der Bundesrepublik freigekauft wurden: „Also für mich ist im Knast der Sozialismus gestorben, der Menschen verkauft - von Zehn- bis Hunderttausend - und extra hohe Strafen macht für politische Gefangene, damit sie auch teuer verkauft werden können."

"Stasi-Dada" als Befreiungsschlag

Die Gefangenschaft hat Gabriele Stötzer auch als Künstlerin reifen lassen; in einer ihrer Ausstellungen setzt sie sich mit ihrer Stasiakte auseinander: In "Stasi-Dada" lässt sie Zitate von einer japanischen Opernsängerin vortragen. "Das ist, wenn man genug Abstand hat und das liest – diese ständigen adjektivistischen, negativistischen Zusammenstellungen –, dann muss man irgendwann lachen. Weil man denkt: Das ist konstruiert, aber die haben so getickt." Gerade hat Stötzer einen weiteren Befreiungsschlag unternommen: Sie hat ihren damaligen Stasi-Vernehmer getroffen. Die Adresse hatte sie schon lange, es fehlte die Gelegenheit: "Es war ein Morgen, wo ich dachte: Heute verändere ich mein Leben und ich habe nichts zu tun. Heute gehe ich zu meinem Vernehmer."

Treffen mit dem Stasi-Vernehmer

Das Treffen findet letztlich in einem Restaurant statt. Ihr Vernehmer will die Vergangenheit ruhen lassen, aber sie bleibt hartnäckig. "Vergeben kann man erst, wenn einer ein Schuldbekenntnis macht. Ich wollte, dass er irgendwas sagt", sagt die Künstlerin. Doch der Vernehmer verweigert sich einem Gespräch. Dennoch blickt Gabriele Stötzer positiv auf dieses Treffen: "Es war gut, weil ich denke: Es muss die Einzelnen geben. Für ihn war es gut und für mich, dass ich jetzt darüber reden kann. Und ich denke, es hat sich was bei ihm verändert und bei mir auch. Und es ist auch für die Gesellschaft wichtig, dass sich Leute gegenübersitzen und versuchen, sich anzunähern. Das ist für mich auch wirklich ein gesellschaftlicher Prozess."


  1. *Norico Kimura (Osaka/Weimar)

Gesangsstudium in Osaka und Dresden. Engagements an der Semper-Oper und am Deutschen Nationaltheater Weimar. Freie Solistin Alter und Neuer Musik sowie Gesangsdozentin in Weimar und Japan. Seit 2013 Mitglied im „Ensemble der DADAMENTA“ mit Spezialisierung auf DADA JAPAN und Stehgreif-Improvisationen.


** Daniel Hoffmann (Weimar)

Trompeter und Jazzmusiker. Nach dem Musikstudium in Weimar freiberuflich tätig. Auf der Suche nach neuen musikalischen Möglichkeiten wurde er 1993 Mitglied des „Ensembles für Intuitive Musik Weimar“, mit dem er 2005 unter Leitung von Karlheinz Stockhausen eine CD mit Stücken aus seinem Zyklus „Für kommende Zeiten“ einspielte. Zum 75. Jahrestag des „Internationalen Kongresses der Dadaisten und Konstruktivisten in Weimar“ gründete er 1997 die „neue bauhauskapelle“. Erprobung neuer Formen im Duo „Klang-Zeichen“ seit 2004. Im gleichen Jahr realisierte er mit seinem Quartett eine CD, auf der als Jazzsänger debütierte